Interview: „Sind Jugendliche politikverdrossen?“

Liebe LeserInnen, mit diesem interessanten Interview, das Lucas Ammann (aha Youth Reporter) mit der Professorin Nadja Naier geführt hat, entlassen wir euch in einen entspannten Sommer, bevor es im Herbst politisch auf allen Ebenen wieder rund gehen wird.
Der DISKURS-Blog verabschiedet sich auch in eine Sommerpause und ist am 21.8. mit dem nächsten spannenden Beitrag zurück.

Bevor das Interview startet noch ein Aufruf:

Der „EU-Jugenddialog“ startet in die nächste Runde! Dabei werden Fragen zu den „Youth Goals: Gutes Lernen, gute Arbeit und Jugend im ländlichen Raum“ per Online-Fragebogen in ganz Europa verteilt. Die Ergebnisse fließen in die Maßnahmengestaltung auf EU-Ebene ein. Zudem werden diese auch national und auf Landesebene eingebracht, um wirksam werden zu können. Weitere Information sind unter www.jugenddialog.at zu finden.

Der Prozess wird von der Bundesjugendvertretung begleitet und vom Land Vorarlberg unterstützt. Ziel ist es, dass möglichst viele bei der Umfrage mitmachen, daher bitten wir um 10 Minuten eurer Zeit: https://www.surveymonkey.de/r/youthgoals

Zum Interview: Die Professorin für Politische Bildung an der Bundeshandelsakademie Lustenau, Nadja Naier, im Gespräch über das politische Interesse und Wissen der Jugend sowie über die EU mit aha Youth Reporter Lucas Ammann.

Sie haben ja als Professorin an einer Handelsakademie viel mit jungen Menschen zu tun. Würden Sie sagen, dass Jugendliche politikverdrossen sind?

Nadja Naier: Ich würde nicht sagen, dass Jugendliche an sich politikverdrossen sind. Ich finde, sie sind größtenteils einfach unbedarft, unwissend. Es gelingt jedoch immer wieder, das Interesse von jungen Menschen zu wecken. Man kann nicht sagen, dass sich Jugendliche von der Politik abgewendet haben, viel eher haben sie nie angefangen über Politik nachzudenken.

Haben junge Menschen, die zum Teil schon wahlberechtigt sind, viel Vorwissen, bevor diese den Unterricht besucht haben? Wie sieht es mit dem Wissen rund um die EU aus?

Nadja Naier: Ich stelle fest: Junge Menschen haben ganz wenig Wissen über Politik und auch entsprechend wenig Wissen über die EU. Sie wissen zwar, dass es das theoretisch gibt, aber das war’s dann auch schon in den allermeisten Fällen.

Woran, denken Sie, liegt das?

Nadja Naier: Ich frage mich immer wieder, woran das liegen könnte. Ich stelle fest, das liegt auch daran, dass viele – nicht alle –, der mir bekannten jungen Menschen sich gar nicht informieren. Sie meiden jegliche Form der regelmäßigen Berichterstattung. Da geht es nicht nur  um politische Berichterstattung, sondern überhaupt um Berichterstattung. Sprich Medienberichterstattung: Was passiert in der Welt? Und wenn man sich nicht regelmäßig informiert, fehlt natürlich auch politisches und gesellschaftliches Grundwissen.

Wie könnte man Ihrer Ansicht nach das Interesse von Jugendlichen in Politik wecken? Wäre es für Jugendliche interessant, Politik praxisnaher  zu erleben?

Nadja Naier: Ich glaube, wenn man beispielsweise Orte wie den Landtag besucht, erscheinen Jugendlichen Dinge weniger abstrakt. Ich habe das auch schon mit einer Klasse gemacht, das hat Interesse geweckt. Aber: Ich glaube, da ist dann doch noch eine große Hürde da, um Jugendliche zu politischen Menschen zu machen. Also das sind zwei Paar Schuhe: Einerseits erscheinen die Dinge weniger abstrakt, andererseits bewirkt das noch nicht, dass man sich deshalb täglich mit der politischen Diskussion, auf welcher Ebene auch immer, auseinandersetzt.

Ist das (Des-)Interesse der Jugend vielleicht auch dadurch begründbar, dass ihnen gar nicht bewusst ist, was die Politik für einen Einfluss auf sie hat beziehungsweise haben kann?

Nadja Naier: Absolut. Dem würde ich voll inhaltlich zustimmen. Das ist sicher vielen gar nicht bewusst. Auch ist ihnen gar nicht bewusst, dass sie mit ihrer Stimmabgabe sehr wohl auch einen Einfluss auf die Politik haben. Ich habe den Eindruck, dass die Politik, natürlich gezwungenermaßen, viele Themen bespricht, die für Jugendliche vielleicht nicht so interessant erscheinen, wie beispielsweise die Pensionen oder notwendige Reformen. Das heißt, die Jugend bewegt sich möglicherweise in ihrem eigenem Interessenskosmos. Und es müsste der Politik gelingen, in diesen Interessenskosmos einzudringen und jungen Menschen bewusst zu machen, dass sie Politik direkt betrifft.

Wie könnte das gelingen?

Nadja Naier: Ich denke tatsächlich, indem man zusätzlich zum Unterricht in Form von Veranstaltungen Jugendlichen bewusst macht, welche Vertretungsorgane direkten Einfluss auf sie haben.

Sprechen junge Menschen im Vergleich zu anderen Themen gerne über die EU?

Nadja Naier: Nein, über die EU sprechen sie gar nicht gerne. Weil die EU für sie noch weiter entfernt ist. Sie ist nicht nur geografisch weiter entfernt, sondern auch in ihrem Denken und Sein. Sie ist noch viel weiter entfernt als die Landes- und Bundespolitik, sie ist noch abstrakter. Sie ist ja auch für uns politisch denkende Menschen weiter entfernt. Und deshalb ist alles, was ich da versuche beizubringen, hochgradig abstrakt.

Demnach müssten Jugendliche am liebsten über regionale  Ereignisse diskutieren. Fallen internationale Themen nicht auch in den Interessensbereich der Jugend?

Nadja Naier: Internationale politische Themen sind eher Themen, die Jugendliche direkt betreffen. Zum Beispiel diese Angst, dass YouTube abgedreht wird. Das ist bei der Jugend angekommen.

Geht es da nicht eher um ein Thema, das Internet?

Nadja Naier: Richtig. Vereinzelte Themen, die sie direkt zu betreffen scheinen beziehungsweise auch direkt betreffen, kommen durch.

Sprechen Jugendliche gerne über Kriege und Kriegspotenziale?

Nadja Naier: Ja, sehr gerne. Ich gebe in Geschichte immer Auswahlmöglichkeiten über das große Stoffkonvolut, das in Geschichte vermittelt werden könnte. Da stelle ich immer wieder fest, dass Jugendliche gerne über die großen Kriege der Geschichte reden.

Auch über drohende Kriege, also Kriegspotenziale?

Nadja Naier: Wahrscheinlich schon. Das kann ich so aber nicht sagen, da das noch nicht zur Auswahl gestanden ist.

Zum Abschluss: Laut einer Wahltagsbefragung von SORA/ISA (Institute for Social Research and Consultung/Institut für Strategieanalysen) im Auftrag des ORF fühlen sich nur 56 Prozent der Befragten sehr bzw. ziemlich gut über die EU informiert. Glauben Sie, dass dieses Empfinden durch mehr politische Bildung in Schulen (positiv) verändert werden kann?

Nadja Naier: Das hoffe ich inständig! Ich hoffe, dass wir es als Lehrkräfte schaffen, einen Grundstock im jungen Alter zu legen, der dazu führt, dass die Hemmschwelle, sich mit solchen Themen wie beispielsweise mit den EU-Institutionen zu beschäftigen, sinkt. Bei den erwähnten 56 Prozent scheint zumindest diese Hemmschwelle nicht vorhanden zu sein. Jedoch muss dieses Gefühl nicht dem tatsächlichen Informationsstand der Befragten entsprechen.

Wollen Sie abschließend den Lesern noch etwas mit auf den Weg geben?

Nadja Naier: Geht wählen! Es liegt in eurer Hand, wie das Kräfteverhältnis künftig in der Politik aufgeteilt sein wird. Desinteresse, und sich hinterher zu beschweren, ist zwar wenig Arbeitsaufwand, hilft uns aber allen nicht weiter.

*Nadja Naier ist Professorin für Politische Bildung und Deutsch an der Bundeshandelsakademie Lustenau.

Dieses Interview wurde zuerst unter www.ahamomente.at veröffentlicht.(Bildnachweis: Horst Hartmann)