Blitzlichter aus der Gaming-Szene

Real Life? Ist das nicht das Spiel mit der brutalen Grafik und der miesen Story?

Jugendliche spielen online mit Gleichgesinnten und arbeiten im Team, um Erfolg zu haben. Wer sich unsozial verhält, wird aus der Gruppe ausgeschlossen. Spielende nehmen im Team eine wichtige Rolle ein. Videospiele sind sozial und kommunikativ.

Mysterium Gaming-Szene?

Die Gaming-Szene ist in sich äußerst inhomogen. Gamer*innen unterscheiden sich nach Alter, Geschlecht, Herkunft, Bildung, Familie, etc. Diese Jugendlichen sind genauso intensiv in Peergroups eingebunden wie Angehörige anderer Jugendszenen. Sie verbringen den Großteil ihrer Freizeit mit Freund*innen und Bekannten. Die Gaming-Szene kommuniziert weltweit und beschränkt sich nicht auf virtuelle Kontakte. Es hat sich ein realer Szenetourismus von Ort zu Ort etabliert. Gaming vergrößert den Freundeskreis und schafft zusätzliche Anreize für neue persönliche Kontakte.(vgl. Großegger, Heinzlmaier 2004, S. 114f). Bei den 16- bis 29-Jährigen beträgt der Anteil der Gamer*innen 88 Prozent, davon sind 48% weiblich. „Gaming“ steht auch für denAustausch mit Gleichgesinnten über Spielinhalte, gemeinsame Spielerfahrungen und das Gefühl, zu einer Gruppe dazuzugehören. Gemeinsam fiebern sie neuen Spieletitelnentgegen und schauen Streams von anderen Gamer*innen an. Für Jugendliche ist ein solches Gemeinschaftsgefühl von großer Bedeutung und bietet hohes Identifikationspotential. In Spielgemeinschaften lernen sie mit Kritik umzugehen, müssen Regeln aushandeln und werden dazu befähigt, Verantwortung zu übernehmen. Organisatorisches Geschick ist ebenso notwendig wie taktisches und vernetztes Denken.(vgl. Kruse2021). Die Jugendlichen erfahren hohe Wertschätzung über ihre Leistungen im Spiel. (vgl. Lutz 2019, S. 23).

Die Community von Guild Wars 2 organisiert jedes Jahr einen „Pride March“ durch die Spielwelt Tyria. Als ein Spieler aus UltimaOnline verstarb, hielt die Community eine Trauerfeier im Spiel ab. Spielende von EliteDangerous arbeiteten mit dem Entwicklerteam zusammen, um einem sterbenden Jungen die letzten Tage in seinem Lieblingsspiel zu verschönern. Die Initiative Extra Life hatseit 2008 mehr als 70 Millionen US-Dollar fürkranke Kinder über Streams gesammelt. Allerdings führen mangelnde Strukturen auch zu Rassismus, Homophobie, Transfeindlichkeit und Mobbing. Auf der Spieleplattform Steam finden sich zahlreiche Communities mit verfassungsfeindlichen Symbolen und extremistischen Inhalten.(vgl. Zimmermann/Falk 2020, S. 148-149)

Kulturgut Gaming?

Jugendkultur Gaming-Szene? In Deutschland gilt das Computerspiel seit 2008 offiziell als Kulturgut. Auch die US-Library of Congress in Washington D. C. hat Computerspiele 2006 zu einem bedeutsamen Kulturgut ernannt. Das heißt, dass sich im Medium Computerspiel kulturelle Errungenschaften unserer Gesellschaft widerspiegeln und digitale Spiele selbst Kulturstifter geworden sind.(vgl. Rheingans 2014, S. 55). Gaming definiert die zeitgenössische Jugendkultur maßgeblich mit. Das gemeinsame Erleben, die gemeinsame Sprache und das verbindende Wissen über Symbole, Codes, Verhalten und Habitus sind die Grundlage jugendkultureller Ausdrucksformen. (vgl. Großegger 2022, S. 8). Spielkulturen, aber auch Themen der Realität und der Politik, fließen in die Entwicklung des Spiels ein und wirken auf die Spielenden. In Videospielen werden nicht nur Normen und Werte kommuniziert, sondern auch Stereotypen und Mythen reproduziert. Ein Paradebeispiel dafür ist die Rolle der Frau in Spielen.(vgl. Rosenstingl/Mitgutsch 2010, S. 13f). Sexismus und toxisches Verhalten in der Gaming-Szene „Geilen Knackarsch hast Du da, Süße!“ Solche Kommentare muss sich Gnu anhören. Sie ist die erste deutsche Streamerin mitüber einer Million Abonnements. Sie spielt Videospiele und kommentiert das Spielgeschehen für ihr Publikum. In einigen ihrer Videos zitiert sie aus den Tausenden toxischen Kommentaren auf ihrem Kanal: „Du bist eine Missgeburt!“, „Du kannst eh nicht spielen, zieh Dich aus, Du bist doch eine Frau, zeig Melonen.“(vgl. Nowak 2021). 72% der Frauen im Spiel Overwatch verbergen ihr Geschlecht aus Selbstschutz beim Spielen. 80% der Frauen haben bereits Diskriminierung aufgrund ihres Geschlechts erfahren, aber nur 27% der Männer. Besonders schlimm betroffen sind Spiele wie League of Legends und Dota 2, aber auch Overwatch und Rainbow Six Siege.(vgl. Zauner2021). Frauen, wie Anita Sarkeesian, die sich im Bereich Sexismus im Gaming engagieren, werden täglich beleidigt und bedroht. In einer Facebook-Gruppe haben Männer den Klub „Ligue du LOL“ gegründet und dort digitale Attacken gegen Frauen koordiniert (vgl. Peteranderl, 2019).

Fallout 76 und Warframe sind eine Ausnahme. Spielende geben sich gegenseitig Tipps und helfen Neulingen mit wichtigen Items weiter. Grund dafür: kein offener PvP-Modus. Wer andere angreift, richtet kaum Schaden an, bis der angegriffene Spieler dem Kampf zustimmt.(vgl. Dietrich 2021). Warum wird gespielt? Videospiele ermöglichen es, in fantastische Welten einzutauchen und verschiedene Identitäten anzunehmen, dem Alltag zuentfliehen und Dinge zu tun, die im realen Leben nicht möglich sind. Macht und Kontrolle spielen eine wichtige Rolle: Wer spielt, ist am Drücker. Ziel ist es, das Spiel in denGriff zu bekommen. Games schaffen ein Gefühl der Zugehörigkeit und sorgen für gemeinschaftliche Erlebnisse.(vgl. Jugend undMedien). Bestimmte Mechaniken kommen in vielen Spielen vor und wirken motivierend: Belohnung, Wettbewerbscharakter, Teamgedanke, Storytelling, Schwierigkeitsstufen,Trial-and-Error-Prinzip (vgl. Schmidt, 01). Wer Herausforderungen im Spiel meistert, hat ein intensives Erfolgserlebnis und gesteigertes Selbstwertgefühl. Insbesondere im Bereich der Ego-Shooter gelten innerhalb der Szene Spitzenteams als Vorbilder.

eSport – kann man das ernst nehmen?

Sie sind die Elite der Gamer*innen und nehmen an Turnieren, Ligen und anderen Wettbewerben teil. Für eine erfolgreiche Karriere ist physisch und mental viel Trainingnotwendig. In Österreich gibt es ca. 50.000eSportler*innen.(vgl. Müller 2022). Der professionelle eSport ist für Frauen schwer zu erreichen – nur etwa 5% sind weiblich. Hindernisse sind fehlende Vorbilder, fehlende Perspektiven und mangelndes Verständnis der Gaming-Community.(vgl. Zauner 2021). eSportler*innen bringen eine gute Hand-Augen-Koordination, hohe Reaktionsgeschwindigkeit, räumliches Orientierungsvermögen, taktisches Spielverständnis, Durchhaltevermögen sowie vorausschauendes und laterales Denken mit. Die Wettbewerbe werden vor Live-Publikum gespielt und per Streamübertragen. Preisgelder und Zuschauerzahlen steigen von Jahr zu Jahr. Das WM-Finale von „League of Legends“ in Peking verfolgten 80.000 Zuschauer vor Ort mit, über 40Millionen vor den Bildschirmen.

Stream it!

Bekannte Streaming-Plattformen sind You-Tube und Twitch. Sie bieten Unterhaltung und einen authentischen Praxiseindruck der Spiele. Während die Streamenden Gameszocken, an Turnieren teilnehmen oder über ihr Leben sprechen, sehen ihnen Tausende live zu.(vgl. Müller 2022, Schmidt 02). Zusehende können in Echtzeit miteinander diskutieren, Streamenden ihre Wünsche und Anregungen mitteilen und den Verlauf des Streams beeinflussen. Der Zuspruch des Publikums ist für Streamende ein wichtiger Bestandteil ihrer Tätigkeit. Streamende haben großen Einfluss auf Ju-gendliche. Es bilden sich Communities, Fanclubs, etc. Die Stars der Streaming-Szene erreichen ein Millionenpublikum. Wenn sie öffentlich auftreten, ähneln diese Events Rockkonzerten, wo Tausende kommen, um „ihre“ Gaming-Idole zu sehen. Viele nutzen ihre Bekanntheit für Charity-Events, greifen wichtige gesellschaftliche Themen auf und diskutieren darüber mit ihrer Community. Oft nicht ohne Folgen. Besonders weiblicheStreamende haben immer wieder Probleme mit Sexismus, Stalking etc.Jugendarbeit und Gaming. Die Jugendarbeit braucht bedarfsorientierte Konzepte und eine professionelle Haltung auf Basis der aktuellen Spieleforschung. Gaming bietet die Möglichkeit, aktuelle ge-sellschaftliche Themen wie Inklusion, Integration, Sexualität oder Gender anzusprechen. Zentrale Anknüpfungspunkte sind die Interessen und die Kompetenzen vonspielbegeisterten Jugendlichen.(vgl. BjR 2020). Die Jugendlichen bewegen sich in virtuellen Welten. Nimmt man die Jugendlichen in ihrer Lebenswelt ernst, muss man ihnen ein ent-sprechendes Angebot machen, das an ihrenInteressen anknüpft.(vgl. Beranek 2014, S. 91). Der Hauptpunkt, der einen Computerraum in der Offenen Jugendarbeit spannend macht, ist die Möglichkeit, gemeinsam mit mehreren Personen zur gleichen Zeit, im gleichenRaum, das gleiche Spiel online zu spielen. Voraussetzung sind funktionierende, moderne Computer und eine schnelle Internetverbindung (vgl. Beranek 2014, S. 92).

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Literatur:

Beranek Angelika (2014): Games im Jugendtreff. In: Demmler Kathrin, Lutz Klaus, Ring Sebastian (Hg.): Computerspiele und Medienpädagogik. Konzepte und Perspektiven. München: kopaed (Materialien zur Medienpädagogik, 11), S. 91–98. 

BjR (2020): Gaming und Jugendarbeit. Hg. v. BjR Bayerischer Jugendring. Online. Online verfügbar unter https://www.bjr.de/nc/service/beschluesse/details/gaming-und-jugendarbeit-3514.html [06.10.2022]. 

Dietrich Mathias (2018): Fallout-76-Spieler sind schockierend nett – Internet verblüfft über so viel Hilfsbereitschaft. Hg. v. GameStar. Online. Online verfügbar unter https://www.gamestar.de/artikel/fallout-76-spieler-sind-schockierend-nett-internet-verbluefft-ueber-so-viel-hilfsbereitschaft,3337125.html [05.10.2022]. 

Großegger Beate: Auf den Spuren digitaler „Media Maniacs“. Medien als Teil jugendlicher Freizeitwelten und unverzichtbares Element zeigtenössischer Jugendkultur(en). In: Medienimpulse, Jg. 60, Nr. 1, 2022, S. 1–19. 

Großegger Beate, Heinzlmaier Bernhard (2004): Jugendkultur-Guide. 1. Auflage. Wien: öbv und hpt. 

Jugend und Medien: Games – Spielen macht Spaß! Jugend und Medien – das Informationsportal zur Förderung von Medienkompetenzen. Online. Online verfügbar unter https://www.jugendundmedien.ch/digitale-medien/games [03.10.2022]. 

Kruse Marco (2021): Special: Sind Videospieler eine eigene Subkultur? Hg. v. INGAME. Online. Online verfügbar unter https://www.ingame.de/specials/special-sind-videospieler-eine-eigene-subkultur-12803630.html [02.10.2022]. 

Lutz Klaus (2019): Können Computerspiele Jugendliche stark machen? In: merz / medien + erziehung 63 (2), S. 19–24. 

merz / medien + erziehung (Hg.) (2019): Computerspiele in der Jugendarbeit. München: kopaed (Medien + Erziehung, 63. Jahrgang, Nr. 2 (April 2019)). 

Müller Flo (2022): Infografik – So zockt Österreich. 5 Gaming-Typen und ihre Welten: So zockt Österreich. Hg. v. a1esports.at. Online. Online verfügbar unter https://a1esports.at/so-zockt-oesterreich/ [05.10.2022]. 

Nowak Tobias (2021): Hate Speech in der Gaming-Szene. Die Koalition der Hass-Bekämpfer. Hg. v. Deutschlandfunk. Online. Online verfügbar unter https://www.deutschlandfunk.de/hate-speech-in-der-gaming-szene-die-koalition-der-hass-100.html [05.10.2022]. 

Rheingans Silja (2014): Digitale Spielekultur. In: Demmler Kathrin, Lutz Klaus, Ring Sebastian (Hg.): Computerspiele und Medienpädagogik. Konzepte und Perspektiven. München: kopaed (Materialien zur Medienpädagogik, 11), S. 55–62. 

Schmidt Sascha (01): Spielgenres und Plattformen. Hg. v. LMZ – Landesmedienzentrum BadenWürttemberg. Online. Online verfügbar unter https://www.lmz-bw.de/medienbildung/themen-von-a-bis-f/digitale-spiele/spielgenres-und-plattformen/ [02.10.2022]. 

Schmidt Sascha (02): Die Faszination von Digitalen Spielen verstehen. Hg. v. LMZ – Landesmedienzentrum BadenWürttemberg. Online. Online verfügbar unter https://www.lmz-bw.de/medienbildung/themen-von-a-bis-f/digitale-spiele/die-faszination-von-digitalen-spielen-verstehen/ [06.10.2022]. 

Zauner Lea (2021): Frauen in der Gaming-Welt: Hechelnde Hunde, Sexismus und Vorurteile. Hg. v. WAR DA. KOMME WIEDER. Online. Online verfügbar unter https://warda.at/magazin/gaming/frauen-in-der-gaming-welt-hechelnde-hunde-sexismus-und-vorurteile/ [05.10.2022]. 

Zimmermann Olaf, Falk Felix F. (Hg.) (2020): Handbuch Gameskultur. Deutscher Kulturrat e.V. 1. Auflage. Berlin: Deutscher Kulturrat e.V.